Montag, 17. September 2012

:-P ...

Aus einer Fülle der seltsamsten Emoticons werde ich gezwungen jenes zu wählen, das meinen momentanen Gemütszustand am ehesten zu beschreiben vermag. Dazu muss ich mir erst einmal darüber klar werden, wie ich mich eigentlich gerade fühle. Ein Smiley, der die Zunge rausstreckt - was für ein Gefühl vermittelt er? Ich finde ihn nicht schlecht, aber momentan befinde ich mich in keiner Laune, in der man für gewöhnlich die Zunge rausstreckt. Überhaupt kann so eine herausgetreckte Zunge die verschiedensten Zustände beschreiben. Ich kann die Zunge frech herausstrecken, ja neckisch, obwohl sich so etwas für einen Mann ab einem gewissen Alter gar nicht mehr gehört.
Ich kann hechelnd wie ein Hund die Zunge zum Lüften aus dem Mund hängen lassen; das wäre ein angestrengtes Zunge-Zeigen, das bei Hunden oft lässig, bei Menschen aber immer ein bisschen debil aussieht. Ich kann wie Einstein auf dem Foto, das er, lebte er noch, wahrscheinlich am meisten hassen würde, die Zunge mit weit aufgerissenen Augen ganz "crazy" rausstrecken, so wie man es noch ab und an auf verschiedenen Fotos sieht, die auf Partys aufgenommen wurden, auf denen Menschen, in Ermangelung kontrollierter Mimik, zu extremen Grimassen neigen und also, wenn es an geeigneter Kreativität fehlt, einfach die Zunge so weit wie möglich Richtung Kinn strecken.
Doch so verschiedenartig diese Zunge-Zeig-Varianten auch sind, ein einheitlicher, diesen allen zugrunde liegender Gemütszustand lässt sich ihnen genausowenig zuordnen wie es völlig unklar ist, was diese Gesichter in jedem einzelnen Fall genau zu bedeuten haben. Deswegen gibt es auch einen Smiley mit herausgestreckter Zunge und Augen, die aussehen wie ein X. Dabei handelt es sich, denke ich mir, vielleicht um einen Gewichtheber-Smiley, denn so eine angestrengte Visage, eine Mischung aus Konzentration und gewaltiger Anstrengung, sieht man eigentlich nur bei Gewichthebern und vielleicht auch noch bei Diskurs- und/oder Hammerwerfern. Letztere aber drehen sich so schnell, dass ein prüfender Blick in das Athletengesicht meist nicht möglich ist. Ich selbst mache so anstrengende Sachen für gewöhnlich nicht, und sollte ich mich doch einmal so plagen müssen, dass meine Augen sich zu einem X verzwicken, würde ich mich davor hüten, meine Zunge zwischen die Zähne zu schieben, müsste ich doch die Befürchtung haben, mir bei einer derartigen Anstrengungen versehentlich die Zunge abzubeißen.

Enttäuscht lasse ich von den Smileys ab. Die Vorstellung, für jede menschliche Emotion auch ein passendes Emoticon zur Verfügung zu haben, kommt mir immer irrwitziger vor. Am ehesten sind es drei Punkte, welche die meisten meiner Emotionen recht treffsicher beschreiben, und die sich dabei noch schön schlicht und bescheiden ausnehmen. Nichtssagend, ja; ... aber nichtssagend sind doch auch solche Gewichtheber-Smileys ob ihres übersemantisierten Vorbeischrammens an humanmimischen Tatsächlichkeiten.
"Hier gibt es nichts zu sehen", sagen drei Punkte und bedeuten somit ungleich mehr als die fragwürdigen Emoticons, die in ihrer Absicht, das menschliche Gefühlsspektrum auf drei Zeichen zu verkürzen, stetsfort auf die bedenklichste Weise versagen. Genug gesagt...


Nachtrag:

Vor 30 Jahren wurde das Smiley-Emoticon von Scott Fahlmann erfunden. Der Erfinder selbst steht der Entwicklung, die seine Idee genommen hat, skeptisch gegenüber:
"Ich hatte doch keine Ahnung, dass ich etwas auslöste, das bald alle Kommunikationskanäle der Welt verschmutzen würde." Und dem Independent sagte er kürzlich, er finde die grafischen Smileys hässlich. Sie ruinierten "die Herausforderung, auf schlaue Art und Weise Gefühle mit einigen Tastatursymbolen auszudrücken."
Viele Schreiber setzen ihre Emoticons ohnehin nicht als Stimmungssignal ein, sondern als eine Art Verlegenheitsgeste, ein Anzeiger für sprachliche Unsicherheit. Das :-) soll anzeigen, dass ein Satz irgendwie vielleicht nicht ganz wörtlich gemeint ist und um Gottes willen nicht missverstanden werden soll – ersetzt also das Bemühen, so präzise zu formulieren, dass die Worte das wirklich Gemeinte übermitteln.

Hier zum Artikel in der 'Zeit'.

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