Um Baseball verstehen zu können,
reicht es leider nicht, nur die Regeln zu kennen. Es erlaubt einem
zwar, ein Baseballspiel verständig zu verfolgen, aber selbst bei
ausgezeichnetem Regelverständnis kann es sich dabei um eine relativ
langweilige Angelegenheit handeln. Denn, wie so oft im Sport, ist das
Aufregende nicht an der Oberfläche zu finden, sondern in den Tiefen
der Historie und den scheinbaren Untiefen der Statistiken versteckt.
Am Beispiel des heutigen Tages sollen wir erfahren, warum dies für
Baseball im besonderen gilt.
Den 15. April hat die amerikanische
Major League zum „Jackie Robinson Day“ erkoren. Besagter Jackie
Robinson lief an eben jenem Tag im Jahre 1947 als erster schwarzer
Baseballspieler in der amerikanischen Profiliga für die Brooklyn
Dodgers ein. Bis dahin war Schwarzen das Baseballspielen bloß in der
Negro-League erlaubt, die sich in der Folge innerhalb nur eines
Jahres auflöste – also knapp 20 Jahre bevor die
Bürgerrechtsbewegung in den Staaten ihren Höhepunkt erreichte. Aber
nicht allein seiner Hautfarbe schuldete der 1972 verstorbene Jackie
Robinson die vielen Ehrungen und posthumen Auszeichnungen. Er gehörte
während seiner aktiven Zeit zu den besten, vielseitigsten und
talentiertesten Spielern der MLB. Rekorde und Statistiken mögen an
dieser Stelle schweigen; sagen wir einfach, dass er zu den Größten
des Sports gehörte und aller Ehren würdig war.
Jackie Robinson |
Die amerikanische Sitte, große Sportler eines Vereins damit zu ehren, dass deren Trikotnummern nach ihrem Karriereende für immer gesperrt werden, ist auch hierzulande bekannt. Im Eishockey sind der Name Wayne Gretzky und die 99 untrennbar miteinander verbunden, genauso wie Michael Jordan und die 23 im Basketball. Auch die mittlerweile nach Los Angeles verzogenen Dodgers sperrten 1972 Robinsons Trikotnummer – die 42. Zehn Jahre zuvor wurde er außerdem als erster Schwarzer in die Baseball Hall of Fame aufgenommen. So schien es keine Ehre zu geben, die Jackie Robinson nicht zuteil wurde.
Bis es 1997, zum 50. Jubiläum seines
Debüts in der MLB, dazu kam, dass Robinsons Rückennummer ihm zu
Ehren auf ewige Zeiten für Spieler sämtlicher Teams gesperrt wurde.
Freilich durften jene Spieler, die zu diesem Zeitpunkt die 42 trugen,
diese bis zu ihrer Pensionierung weiter behalten. Von diesen ist im
Jahr 2012 nur noch einer übrig – Mariano „Mo“ Rivera von den
New York Yankees. Er wird der letzte Profi-Baseballer in den USA
sein, der mit der 42 auf das Feld laufen darf. Rivera selbst ist
ebenfalls ein Kandidat für die Hall of Fame. Als Closing Pitcher der
Yankees ist er dafür verantwortlich, den Punktevorsprung seines
Teams im letzten Durchgang jedes Spiels zu halten und also keine Runs
der gegnerischen Mannschaft mehr zuzulassen. In der gesamten
Geschichte der Major League ist das keinem so oft gelungen wie
Mariano Rivera: Im letzten September sicherte er die 6-4 Führung der
Yankees gegen die Minnesota Twins und verbuchte damit den 602. Save
seiner Karriere. Damit steht er nun alleine ganz oben auf der ewigen
Bestenliste der MLB.
Mariano Rivera |
Mariano Rivera erweist sich also als
ein würdiger letzter Träger der Nummer 42. Dabei glänzt er als
Pitcher nicht unbedingt durch seine Vielseitigkeit. Sein Erfolg rührt
vielmehr daher, dass er über einen einzigartigen Wurf verfügt, den
viele Experten mittlerweile als Revolution des Baseball-Pitchings
ansehen. Sein Cut Fastball (oder Cutter) ist ein äußerst schnell
geworfener Ball, der knapp bevor er den Batter erreicht, nach links
abdreht. Ungewöhnlich daran ist nicht der Effet, der bei sogenannten
Breaking Balls wie Slider oder Curveball oft viel stärker ausgeprägt
ist, sondern die gleichzeitig sehr hohe Geschwindigkeit des Balls und
Riveras Wurftechnik, die es dem Schlagmann erschwert, einzuschätzen,
mit welchem Pitch er es zu tun bekommt. Prinzipiell gibt es für den
Pitcher die Möglichkeit, den Ball mit hoher Geschwindigkeit zu
werfen (Fastball) oder mit viel Schnitt, um dem Schlagmann den
Ballkontakt zu erschweren (Breaking Ball). Mo Rivera hat seinen Cut
Fastball, also die perfekte Mischung aus beidem, per Zufall beim
Aufwärmen entdeckt und wusste einige Zeit lang nicht genau, welche
Wurftechnik ihm zu dieser Wunderwaffe verhalf. Er nannte es – ganz
amerikanisch – ein Geschenk Gottes bzw. hielt es zunächst für
einen Fehler in seiner Wurfmechanik, bis er lernte, den Pitch zu
kontrollieren und gezielt einzusetzen. Mittlerweile verfügen
natürlich viele der besten MLB-Pitcher über gute Cutter, aber
Rivera ist immer noch der Meister des Cut Fastballs, den Experten
gerne „mysterious“ oder „magical“ nennen und dessen
Unberechenbarkeit allzu oft zu abgebrochenen Baseballschlägern
führt.
So ist die Nummer 42 nicht nur die
Antwort auf die Frage nach eh allem (wie man bei Douglas Adams
nachlesen kann), sondern steht im Baseball für die Geschichte zweier
außergewöhnlicher Spieler, die eigentlich nur die Rückennummer
verbindet, die aber durch die Geschichte des Sports doch irgendwie
zusammen gehalten werden. Denn wenn Mariano Rivera in die
Sportlerpension verschwindet und irgendwann einmal in die Hall of
Fame aufgenommen wird, er sich also mit Jackie Robinson im
Baseball-Walhalla trifft, wird die 42 um den Namen eines ihrer großen
Träger reicher sein, und Rivera wird so auch der letzte Yankee
gewesen sein, der sie getragen hat.
Robinson und Rivera sind nur zwei
Beispiele dafür, dass dieser Sport viel von seiner Faszination
einbüßt, wenn man bloß das Geschehen auf dem Feld verfolgt. Für
unsereins, die wir zu Baseball so gut wie keinen Bezug haben, ist es
schwierig sich dafür begeistern zu können, denn es gilt, viel über
den Sport und seine Geschichte zu lernen, was mitunter mühsam sein
kann, weiß man doch nie, wo man damit anfangen soll. Storys wie jene
von Robinson und Rivera können zumindest neugierig machen. Gleiches
gilt auch für den (übrigens sehr sehenswerten) Film „Moneyball“
mit Brad Pitt und Philip Seymour Hoffman, der die unglaubliche
Geschichte des Baseball-Mangagers Billy Beane während seiner Zeit
bei den Oakland Athletics erzählt.
***
Video zu Jackie Robinson
Über River's Cutter:
Moneyball:
***
Video zu Jackie Robinson
Über River's Cutter:
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen