Samstag, 17. März 2018

Spaziergang mit Mops

Der Mops muss raus. Immerhin hat er gestern den ganzen Tag nicht gekackt. Zumindest hat ihn dabei niemand beobachtet, und weil Möpse nichts, aber auch gar nichts, selbstständig tun können, liegt die Vermutung nahe, dass der Mops gestern nicht gekackt hat, weil ihn niemand dabei gesehen hat.

Aufgeregt dreht sich der Mops im Aufzug um die eigene Achse. Bald ist es soweit. Oben in der Wohnung wird schon sein Futter bereitet, und er weiß, dass er zuerst kacken muss, um an sein Futter zu kommen. Er ist mit seinem Fressnapf wie mit einer unsichtbaren Schnur verbunden. Während der nächsten paar Minuten ist er geistig beim Fressnapf. Der Mops läuft durch die Haustüre und biegt gleich rechts ab in Richtung See. Er weiß Bescheid.

Auf der Seepromenade herrscht reges Treiben. Ungewöhnlich viele Menschen spazieren hier auf und ab, machen Fotos, starren die langweiligen Enten an und lachen den Mops aus, wenn er an ihnen vorbei läuft. Der Mops sieht nämlich nicht nur lustig aus, er hat auch einen lustigen Gang. Aber der Gang des Mopses soll hier nicht Thema sein. Denn den Leuten vergeht das Lachen recht schnell, wenn sie den Mops beim Kacken beobachten müssen.

Der Mops schnüffelt den Boden entlang, dreht sich in die richtigen Position (Kopf nach Norden) und macht einen krummen Rücken. Seine Augenbrauen schiebt er dachförmig zusammen, und er scheint seine schwarzen Kulleraugen noch weiter herauszudrücken als sonst. Er sieht erbärmlich aus, wenn er kackt!

Hinten drückt er eine hellbraune Wurst heraus. Dann noch eine – und noch eine. Je mehr aus dem Mops heraus kommt, desto weicher und heller wird es. Herrje, was hat er denn gestern schon wieder gefressen? Der Mops ist fertig, stackst noch in gebückter Haltung ein paar Zentimeter weiter. Kommt da noch was? Der schwarze Plastikbeutel wird ausgerollt, meine Freude hält sich in Grenzen. Die Kacke klebt am frühlingshaften Gras. Wie schade für das Gras – gerade eben vom Schnee befreit, nun schon mit Mopskot beschmiert ...

Ich warte, ob noch was kommt, aber der Mops schnüffelt schon wieder an einer anderen Stelle. Noch bevor ich dazu komme, sein "Werk" aufzuheben, dreht er sich plötzlich um und stürmt davon – geradewegs durch seine eigenen Exkremente! Hier sei nochmals betont, dass es sich um besonders weiche Ausscheidungen handelt, deren Viskosität etwa mit jener von Nockerlteig ähnelt. Ich verstaue den Nockerlteig im Plastiksackerl, die Menschen um mich herum beneiden mich wenig, bemühe ich mich doch, das Gras sauber zu putzen. Jetzt bin ich derjenige, der erbärmlich aussieht.

Der Mops hat schon eine Grasinsel weiter erneut Platz genommen. Seine Leine ist um seinen Körper gewickelt, ein Teil davon verdeckt seinen Hinterausgang. Davon unbeeindruckt versucht das Tier den Rest des Nockerlteiges loszuwerden, der naturgemäß immer breiiger wird. Noch bevor ich die Leine vom Mops-Anus wegziehen kann, ist diese auch schon beschmutzt. Ein letzter Rest plumpst noch ins Gras, der Mops dreht und wendet sich, die Leine streift an seinem Hinterbein, an seinem Rücken und an seinem Ringelschwanz. Wild hüpft der Mops im Kreis, schnüffelt erneut, hetzt zuerst in die eine, dann in die andere Richtung. Nur mit Mühe gelingt es mir, ihn davon abzuhalten, erneut durch seine Scheiße zu tapsen.

Ich ziehe ein zweites Plastiksackerl hervor und bemühe mich, den Rest des Nockerlteigs vom Gras zu schaben, erreiche aber nur, dass sich die Kacke noch gleichmäßiger zwischen den Halmen verteilt. Dabei sieht mir ein kleines Kind zu, das sich schnell weg dreht, als ich es ansehe. Vielleicht hat es gerade zum ersten Mal das Gefühl von Fremdschämen verspürt.

Der Mops sieht mich an, als wäre nichts gewesen. Er ist im Geiste wieder ganz bei seinem Fressnapf und drängt zu gehen. Dass sein beiges Fell an verschiedenen Stellen mit hellbraunem Schiss beschmiert ist, scheint das Tier nicht zu stören. Es blickt mich erwartungsvoll an, und auch ich bin froh, wenn wir möglichst schnell nach Hause kommen. Am Weg dorthin wäge ich meine Optionen ab, wie ich den Mops sauber bekomme, bevor er auf seinen Futternapf los stürmt.

Wir warten auf den Lift, heraus springt der Nachbarshund. Ich halte den Mops am Halsband fest und versuche ansonsten möglichst nicht mit ihm in Berührung zu kommen. Auf die bekackte Leine vergesse ich dabei fast, und um ein Haar hätte ich mir den Nockerlteig an die Hose geschmiert. Der Nachbarshund ist fort, wir stehen im Aufzug, ich halte den Mops immer noch fest, auf dass er sich nicht an den Aufzugswänden reibe.

Vor der Wohnung muss er "Sitz" machen. Er gehorcht nur widerwillig. Mit der Leine weit von mir gestreckt gehe ich in die Wohnung und warne (auch etwas Hilfe suchend) meine Frau: "Der Hund ist voller Kacke! Die Leine ist voller Kacke!" Die Frau lacht nur. Ich solle ihn gleich in die Badewanne setzen, so lautet der Vorschlag. Die angekackte Leine bringe ich auf den Balkon. Der Balkon ist immer ein dankbarer Aufbewahrungsort für Dinge, die man nicht in der Wohnung haben will, und die man auch nicht dem Gang vor der Wohnung, und also den Blicken und Nasen der Nachbarn, zumuten will.

Bevor ich den Mops packe, versichere ich mich, dass die Stellen, an denen ich ihn anzugreifen gedenke, frei von Kot sind. Dann stelle ich ihn in die Badewanne. Er schaut mich entsetzt an. Warmes Wasser umspült seinen wurstförmigen Körper. Es ist ein liebes Tier und hat ja auch nichts falsch gemacht. Für den Mops ist aber eine Dusche – und vor allem das anschließende Abtrocknen – eine Strafe. Beim Abtrocknen ist sein Blick starr in die Küche gerichtet, wo schon sein gefüllter Fressnapf steht. Halb getrocknet stürzt er darauf zu und frisst. Ich stehe daneben und hoffe, dass das, was er da in sich hineinfrisst, morgen in etwas festerer Form wieder hinten herauskommt.

Als er fertig ist, leckt er sich das Maul und sieht mich an, als wäre nichts gewesen. Für ihn war ja auch nichts. Die Schmach, die Peinlichkeit, die Mühsal hatte ja ich! Ich musste die belustigten Blicke der Passanten ertragen, und den peinlich berührten Blick eines Kindes, das meine armseligen Versuche, das Gras zu säubern, mit einem Kopfschütteln quittiert hätte, wenn es denn schon gewusst hätte, dass dies die adäquate Geste für solche Situationen ist. Der Mops ist zufrieden, weil einerseits sein Darm leer, und andererseits sein Magen voll ist. Er niest noch zwei, drei Mal vor sich hin, und legt sich dann auf die Couch, von aus er mich, wie mir scheint, amüsiert betrachtet.

Mops in Badewanne


Dienstag, 8. November 2016

Der erste Schnee

Jedes Jahr dasselbe: Es schneit, und sofort posten alle Zeugen dieses Naturvorgangs es auf Facebook. Dann kommen die Schlaumeier, die sagen, man müsse Schneefotos nicht dauernd auf Facebook posten, weil jeder selber aus dem Fenster sehen könne. Als ob Schneefotos das Schlimmste wären, was man täglich so auf Facebook findet. "Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum!". Das lese ich täglich 350 Mal auf Facebook, und über diesen sinnleeren Satz hat sich noch nie jemand aufgeregt. Wahrscheinlich weil sie alle damit beschäftigt sind, ihren Traum zu leben - auf Facebook.

Dabei ist die Freude, die Menschen empfinden, wenn sie den ersten Schnee der Saison sehen, wenigstens noch etwas Echtes: die kindliche Glückseligkeit beim Anblick des wunderbaren Weiß. Lasst doch die Leute Schneefotos posten! Erstens sieht eben nicht jeder den Schnee, wenn er aus dem Fenster sieht. Schließlich ist der Witz an Facebook ja der, dass man da Sachen von Leuten sieht, die nicht unbedingt aus dem Nachbardorf kommen. Also freut sich vielleicht irgendein Schwarzwälder, bei dem es regnet, oder irgendein Australier, bei dem es grad unbarmherzig runterbrennt, über die Schneefotos der Pinzgauer.

Zweitens ist Schnee - solange wir ihn noch bekommen - etwas Magisches. Über Nacht verwandelt sich die Welt in eine einzige weiße Pracht, es riecht anders, die Welt klingt anders, wenn man auf dem Schnee geht, knackt es. Das ist doch der reinste Kindheitstraum, den man jedes Jahr gratis wieder aufs Neue erlebt! Daher freuen sich die Leute über Schneefotos - zumindest zum Winterbeginn. Da kommt es selten vor, dass einer ein Schneefoto mit einem grantigen Smiley goutiert oder schlicht "wäh!" drunter schreibt.

Schnee ist schön, magisch und sinnvoll. Darf man ruhig auf Facebook posten, denn jedes einzelne Schneefoto ist besser als alle Postings von Felix Baumgartner zusammen!


Dienstag, 12. Juli 2016

Der Schmittenwind

Nach einem heißen Sommertag, wenn sich die Sonne hinter der Schmittenhöhe versteckt und bloß noch das gesegnete Land der Thumersbacher von ihren warmen Strahlen behütet wird, kommen die Hunde wieder aus ihren Hütten gekrochen. (Ich meine tatsächlich die Tiere, nicht die illustren Bewohner des Schmittentals!) Einen ganzen Tag lang hat die Sonne in die Talsenke gebrannt, die großen Leiber der Kühe gewärmt und ihre Fladenauf den Wiesen trocknen lassen. Die letzte Seilbahn hat sich vor über einer Stunde über die Wälder und Gräben berghinan ziehen lassen. Auch das Schlagen der Autotüren und das Kratzen von deutschen Wanderstöcken auf dem Asphalt der Seilbahnparkplätze ist verklungen.

Kaum hat man sich von der drückenden Hitze erholt, einmal kurz aufgeatmet und die Sonnenschirme abgespannt, fangen auch schon die ersten Wiesenhalme an zu zittern. Er ist wieder da: Der Grund für so viele verkühlte Rücken, die Ursache für hunderte von Windschutzvorrichtungen auf allen Terrassen entland der Schmittenstraße, der Garant für unsere kühlen Nächte: Der Schmittenwind.
Dieser stellt sich verlässlich nach Sonnenuntergang ein und fegt über die steilen Hänge der Schmittenhöhe hinab und durch das Tal hindurch. Er pfeift um jede Hausecke, durch sämtliche Ritzen unserer Kleidung; ja nicht einmal ein richtiger Pinzgauer "Jancker" vermag der schroffen Kühle des Schmittenwindes standzuhalten.

Am Ende der Schmittenstraße angekommen zeichnet er sich verantwortlich für die Terrassengestaltung der Lokale entlang der Dreifaltigkeitsgasse. Keines kommt ohne Windschutz aus, denn in der DFG kanalisiert sich seine dämonische Kühle und sorgte wohl für allerlei entzündete Nierenbecken und steife Genicke, würde man ihm nicht durch massive Glaswände Herr. Am Stadtplatz zerstreut er sich dann, pfeift weiter um die Ecken und in die Ohren der Zeller hinein. Das Säuseln der Götter, die ihnen zuraunen, dass es jetzt Zeit wird, sich die Pullover über die Rücken zu werfen. Ehrfurchtsvoll murmeln die Bewehten "Oje, da Schmittenwind!", denn sie wissen, es droht der rheumatische Infekt! Schnell leeren sie ihre Gläser und flüchten in die Lokale hinein oder gleich ganz nach Hause.

Andere wiederum, die schon seit dem späteren Nachmittag dem Spritzwein frönen, bemerken die Kälte zwar, nehmen sie aber nur zum Anlass, um humorig festzustellen, dass jetzt wohl "der Daxer das Fenster aufg'mocht" habe - bezugnehmend auf jene Familie im hinteren Schmittental, denen im Jux nachgesagt wird, sie hätten durch das Öffnen und Schließen ihrer Türen und Fenster die Gewalt über das Wesen und Wirken des Schmittenwindes. Ich kann Ihnen glaubhaft versichern, dass dem nicht so ist, und wir selbst über die unglaublichsten Windschutzanlagen verfügen bzw. die bergseitig gelegenen Aufenthaltsbereiche außerhalb unserer Häuser nach 18 Uhr ganz einfach nicht mehr nutzen; zu unwirtlich ist das Klima, das der hundsgemeine katabatische Fallwind dort verursacht. Unsere Pflanzen sterben im Sommer jeden Abend den Kältetod, nur um am nächsten Morgen lazarusgleich wieder aus der Schmittenwindstarre zu erwachen!

Als Kind kam mir dieser Wind immer sehr gelegen. Denn einer der Vorteile der Schmitten ist es, dass man als Einzelkind dort relativ gut Fußball spielen konnte. Schließlich gab es nirgendwo gerade Flächen (mit Ausnahme der Seilbahnparkplätze), und so konnte man recht gut seinen Schuss trainieren, denn der Ball rollte geduldig über den Bichl wieder zurück. Mit dem Schmittenwind eröffnete sich zudem die Möglichkeit, das Flankenschlagen zu üben. Man konnte sich, freilich in Windjacke und Haube gehüllt, hervorragend selbst den Ball zuflanken, wenn man ihn nur gegen den angreifenden Schmittenwind schoss, der ihn zuverlässig zurückblies. So musste man nicht warten, bis die Schwerkraft den Ball müde über den geneigten Hang zurückrollen ließ, und konnte das Schlagen und Annehmen von Flankenbällen gleichzeitig üben. Dass trotzdem kein großer Fußballer aus mir geworden ist, schiebe ich heute nur auf die begrenzte Trainingszeit zwischen dem Aufkommen des Schmittenwindes und der damit fast zeitgleich einsetzenden Dämmerung.

Wenn unsere Sommer wirklich immer heißer werden, ist dieser Wind ein klimatisches Juwel. Denn trotz seiner Bissigkeit, wird er doch von Einheimischen und Touristen irgendwie geschätzt. "Es ist unglaublich!", sagte mir letztens ein Gast erstaunt, "Obwohl es heute so heiß war, ist es jetzt am Abend herrlich kühl geworden. Da brauchen Sie ja gar keine Klimaanlage in den Zimmern!" Ich nicke wissend und erzähle ihm dann von der besten aber auch gefährlichsten Klimaanlage der nördlichen Alpen - dem Schmittenwind!

Montag, 7. März 2016

Der Blick aus dem Fenster

Warum ich immer wieder gerne über das Wetter schreibe - ich weiß es nicht. Wahrscheinlich weil ich auch jeden Tag danach gefragt werde, und deswegen jeden Tag vor lauter Angst, keine Auskunft geben zu können, eine Wetter-App checke, um dann brav sagen zu können: "Heute wird es schön!" oder eben "heute bleibt es schlecht!". Jetzt ist die Sache die, dass es nur ein Wetter gibt, aber zahlreiche Wetter-Apps, die allesamt ein anderes Wetter versprechen. Darum gibt es auch Urlauber, die während Ihres Aufenthalts mehrere Wetter-Apps konsultieren, denn die Erfahrung zeigt, dass immer mindestens eine dabei ist, die jenes Wetter anzeigt, das sich der User erhofft.

So kann es natürlich vorkommen, dass meinem "morgen wird es schlecht" ein "auf meiner App steht aber Sonne!" entgegnet wird, wogegen ich wiederum nichts anderes sagen kann als: "Ja, naja, der Wetterbericht irrt sich ja ständig. Vielleicht ist es Ihrer, vielleicht ist es meiner, aber einer irrt sich bestimmt, weil es gibt ja immer nur ein Wetter!" Meistens empfehle ich den Gästen, die Tagesplanung nicht von jenem Wetter abhängig zu machen, das die App anzeigt (oder vielmehr vorschlägt), sondern lieber auf den nächsten Tag zu verschieben. "Es empfiehlt sich", sage ich dann immer, "in der Früh aus dem Fenster zu schauen", und komme mir dabei wahnsinnig blöd und besserwisserisch zugleich vor, "und dann zu entscheiden, was man mit dem Tag anfängt." Natürlich ist mir klar, dass das belehrend klingt, quasi wie ein Vater, der sich darüber mokiert, dass die Kinder lieber auf den Smartphone-Bildschirm schauen als in das wirkliche Leben hinaus. Deswegen schicke ich meinem Tipp hinterher, dass jedoch selbst der Blick aus dem Fenster mit Vorsicht zu genießen sei, weil es oft vorkomme, dass vor dem Fenster der Nebel hänge, dieser aber schon 100 Höhenmeter weiter oben sich vollkommen aufgelöst habe, und deswegen der einzig wahre Blick weder der auf das Smartphone noch der aus dem Fenster sei, sondern einzig und allein jener in den Fernseher: Dort läuft nämlich der Panoramakanal, und der zeigt, wie das Wetter wirklich ist!

"Ist denn das live?", werde ich dann ungläubig gefragt, wenn der Blick aus dem Fenster mit dem Blick in den Fernseher so gar nicht kongruent sein will, weil es oben sonnig, vor dem Fenster aber neblig ist. Schwierig wird es, wenn der Gast zu protestieren beginnt: "Auf meinem Handy steht aber, dass es heute bewölkt ist!" Da heißt es diplomatisch sein, und deshalb antworte ich in so einem Fall gerne, dass es dann sicherlich am Nachmittag schrecklich bewölkt sein werde, es nun aber, wie der Blick in den Fernseher bestätige, das "schönste Wetter" habe. Manchmal sage ich auch "Kaiserwetter" dazu, der Habsburger-Nostalgie halber, was die Wirkung verstärkt, denn niemand möchte bei "schönstem Wetter" oder eben bei "Kaiserwetter" im Haus sitzen bleiben und auf ein Smartphone starren, bis sich dort endlich die Sonne zeigt.

Jetzt kann man viel darüber philosophieren, dass die Welt unübersichtlich geworden ist und die Wetter-Apps dafür Pate stehen. Dass sich der Mensch von der Natur entfremdet und sich der Technik unterworfen hat und deswegen hilf- und orientierungslos im Strudel der Moderne (der nachmodernen Postmoderne!) wild rudernd unterzugehen droht. Mir liegt aber mehr daran, jene Menschen älteren Semesters in Schutz zu nehmen, die gerne bloß dasitzen, aus dem Fenster schauen und das Wetter beobachten und dieses dann knurrend oder seufzend kommentieren. Jene Menschen, die immer nur sagen "sche is" oder "schiach is", und für die es kein dazwischen gibt und die sich nicht auf waghalsige Prognosen einlassen. Die dem Irrsinn widerstehen, alles genau wissen zu müssen und möglichst auch noch den nächsten Tag und die nächste Woche und den nächsten Monat vorhersagen zu wollen. Menschen, die sagen, was der Fall ist. Die sind dann doch besser als jede App.


Freitag, 11. Dezember 2015

Vorweihnachtliches Potpourri

Als Kind kam mir das Märchen von der Frau Holle immer extrem plausibel vor. Was konnten diese dicken, zur Erde niedertanzenden Flocken anderes sein als quasi die Federn von der Frau Holle ihrer Tuchent? Leider hat die Geschichte von der Frau Holle schon lang das Zeitliche gesegnet. Nicht nur, weil die Vorstellung einer die Betten ausschüttelnden und im Himmel wohnenden Übermutter nicht mehr zeitgemäß ist und gendermäßig geradezu frivol erscheint. Vor allem, weil man im Dezember immer öfter aus dem Fenster schaut und meint, den Frühling hereingrinsen zu sehen, dessen Fratze zwischen regnerisch kühl und wohlig warm changiert und so ihre unzeitgemäße Bedrohlichkeit dem auf den Winter wartenden Erdenbürger Flüche gen Himmel schicken lässt.

Wie gut aber, dass heutzutage der Schibetrieb sichergestellt ist und die Gäste schon vor Weihnachten österliches Wetter genießen können. Frau Holle hat ausgedient - der Diplomingenieur Holle hat jetzt das Sagen! Dem Herrn Dipl.Ing. ist der Klimawandel nämlich wurscht, weil er kann auch bei Plusgraden Schnee produzieren! Vielleicht lässt er sich bald etwas einfallen, damit der bei Plusgraden erzeugte Schnee dann auch liegen bleibt, und überhaupt: Winter findet in den Köpfen der Menschen (vor allem der Skiliftbetreiber) statt!

Der der Winterschwindsucht verfallene Erdenbürger sucht indes Trost in Punsch und Glühwein, die man bei mildem Wetter auch lauwarm akzeptiert. Kuschelig steht man kurzärmelig am Weihnachtsmarkt und macht sich gegenseitig die Herzen auf, indem man Gruselgeschichten von Flüchtlingen und "Wintermärkten", die nicht mehr Weinachtsmärkte heißen dürfen, erzählt. Hat man auf Facebook gesehen! Früher, als es im Winter noch kalt war, und man schon Anfang Jänner im See einbrechen konnte, stand sowas wenigstens noch in der Kronen Zeitung! Ja, früher war alles anders: Da gab es winters noch einen Schnee und die Nachrichten hat man gelesen und nicht nur im Drüberscrollen gesehen.

Dann gibt es noch die, welche die stillste Zeit im Jahr nicht mit Weihnachtsstress verwechselt haben wollen, und ihre Freunde und Bekannten mahnen, nur ja in lokalen Geschäften zu kaufen, denn das Internet ist böse und das Christkind kauft auch nur im schlecht sortierten Einzelhandel. Am besten ist überhaupt, man bastelt selber was, auch wenn man dann die enttäuschten Gesichter der Familienmitglieder am Weinachtsabend aushalten muss. Wo man das Bastelzeug kauft, ist aber weiterhin Gewissensfrage und im Zweifelsfall kann man ja immer noch am Samstag Nachmittag nach Salzburg in den Europark fahren (not!).

Also: Lieber zu Hause bleiben, durch das Fenster aus dem überheizten Haus auf die grüne Wiese starren und ab und zu jemanden anrufen und sich mit ihm darüber streiten, was denn nun das einzig wahre Weihnachtsessen sei. Wir Pinzgauer, die mit Bachlkoch und Würstelsuppe antreten, werden da meist belächelt. Aber das Geringe als das eigentlich Überlegene ansehen: Das war schon immer unsere Stärke!

Frohe Weihnachten

Mittwoch, 3. Juni 2015

An der Hausmauer sitzend

Der Plamberger Loisl sitzt gerne vor seinem Haus, genauer auf der Terrasse vor seinem Haus, an die Hausmauer gelehnt, die sich an warmen Sonnentagen dermaßen aufheizt, dass es den Loisl daran erinnert, wie er sich früher immer an den abkühlenden Backofen der Mutter gelehnt hat, weil es ihm zwar an menschlicher, nie aber an elektrischer Wärme gefehlt hat. Eine schöne Kindheit war das. An der Mauer also sitzend und die wohlige Wärme genießend, schaut er auf die rumpelige Straße, auf der sich, weil sie so steil ist, im Winter die Holländer und im Sommer die Araber abmühen. Die Holländer im Winter, weil es so glatt ist, und sie aber zum Apartmenthaus am Ende der Straße müssen; Die Araber im Sommer, weil das Navigationsgerät sie auf so unwegsames Gelände geführt hat und sie jetzt nur noch Allah oder der Prophet höchstpersönlich im Gewande eines österreichischen Feuerwehrautos aus ihrer misslichen Lage befreien kann.

Der Loisl, der im Winter nur selten vor der Türe sitzt, sondern lieber drinnen am Fenster, von wo aus er die gleiche Aussicht auf die rumpelige Bergstraße hat wie an der Hausmauer auf der Terrasse, nimmt das Theater, welches sich auf besagter Straße sommers wie winters abspielt, gelassen hin. Man vermag es gar nicht zu beurteilen, ob er es überhaupt wahrnimmt, denn meist sagt der Loisl nicht viel, sondern schaut nur verzwickt (das hat er von seinem Großvater gelernt, der, man glaube es den übrigen Zellern, der Weltmeister im Verzwickt-Schauen war). Wenn er etwas sagt, dann sagt er nur "mhm" oder "hmm", je nach Laune mehr aus der Nase heraus (gut gelaunt) bzw. mehr aus dem unteren Kehlbereich heraus (schlecht gelaunt). Dazu schüttelt er oft den Kopf - nicken hat man den Plamberger Loisl nur selten gesehen. Denn wenn er eine Frage wortlos bejaht, kippt sein Kopf nur zustimmend auf seine Brust, hebt sich aber nicht mehr. In diesem Falle von einem vollwertigen Nicken zu sprechen, wäre der Beobachtung nicht gerecht.

Früher hat er das Kopfschütteln geübt, als er mit dem Rücken gegen den Backofen gelehnt saß und dabei versuchte, seine Ohren abwechselnd zu wärmen. Kopf nach links - linkes Ohr warm; Kopf nach rechts - rechtes Ohr warm, linkes aber schon wieder kühl; schnell wechseln...
Seine Mutter hat ihr an den Backofen gelehnt sitzendes und den Kopf wild hin und her werfendes Kind nur verständnislos angesehen, dabei selbst den Kopf geschüttelt und ihm gesagt, wenn es so weiter tue, bliebe ihm das Kopfschütteln irgendwann. Einmal haben sie in der Stadt ein altes Männlein gesehen, das den Kopf beim Gehen ständig geschüttelt hat, damit, einer pessimistischen Taube gleich, aber aufhörte, als es still stand. Des Loisls Mutter zeigte mit dem Finger auf das Männlein und verkündete ihrem Sohn: "Schau, Loisl, so wirst du auch einmal!" Da schauderte es dem Knaben.

Der Loisl ist letztlich doch nicht so geworden, weil das Kopfschütteln bei ihm keine motorische, neurologische oder eine andere körperliche Störung ist. Es ist bloßer Ausdruck eines innergebirglerischen Weltekels, den zu lindern nur die warme, sommerliche Hausmauer im Stande ist. Daher schüttelt der Lois im Winter häufiger den Kopf und im Sommer dann besonders oft, wenn er - was selten genug vorkommt - sein Haus verlässt oder es "Araberwetter" hat: So nennt man kühles und regnerisches Sommerwetter in Zell am See gerne.

Dem Loisl sind die Araber wurscht, genauso wie die Holländer. Er schüttelt bei beiden den Kopf, und zwar genauso verächtlich, wie wenn der Apartment-Besitzer in dem übermotorisierten Sportwagen vorbeifährt, mit dem er im Winter nie den Berg rauf kommt, weil das Auto Heckantrieb hat und die computergesteuerten Fahrassistenz-Programme den Kasatschok tanzen, wenn der Fahrer den Wagen über die eisige Rumpelstraße lenkt. Keine Laborbedingungen für deutsche Sportwagen sind das! Wenn das der deutsche Ingenieur sehen könnte, er würde den Kopf genauso schütteln wie der Lois, der dazu noch "mhmm" macht. Ein "mhmm", das ganz tief unten in der Kehle gurgelt. Für den Apartment-Besitzer, der eh bloß zwei Mal im Jahr für ein paar Tage nach Zell kommt, ist das nur ein weiterer Grund, sich vielleicht doch so einen schicken englischen Geländewagen anzuschaffen. Der wird dem Loisl nur ein amüsiertes "hm!" wert sein.

Eigentlich ist dem Loisl alles wurscht. Man nennt das Resignation - der Loisl sagt aber Zufriedenheit dazu. "I bin z'friedn", sagt er, wenn er danach gefragt wird, wie es ihm ginge. Ob das jetzt Understatement oder eine krasse Fehleinschätzung ist, weiß niemand so genau. Tatsächlich aber kann man, wenn man am Haus vom Loisl vorbei die rumpelige Bergstraße hinauf fährt, fast ein seliges Lächeln auf seinem Gesicht erkennen. An einem warmen Sommertag, versteht sich; wenn der Loisl an der Hausmauer lehnt, den Kopf nach hinten gekippt, und ein bisschen schläft. Wenn er vom Backofen der Mutter träumt und wie fein alles war und eigentlich noch immer ist. Meist wacht er kurz auf, wenn die Reifen auf dem Schotter durchdrehen oder die Stoßdämpfer ob der gemeinen Schlaglöcher stöhnen. Dann blinzelt er, macht "hmm" und schüttelt den Kopf.

Donnerstag, 18. September 2014

Das Point - ein Abschied

Es gab da ein Lokal in Zell, das hätte es eigentlich gar nicht geben dürfen. Ein Lokal wie eine Überraschung, eine klitzekleine Offenbarung, ein alltägliches Kleinod. Dementsprechend bescheiden nannte man es auch das "Point". Einfach ein Punkt - nicht mehr, aber gottlob auch nicht weniger!

In der Schule hatte ich einen fleißigen Mathematik-Professor. Er war für die Mittelschule vielleicht ein wenig überqualifiziert; jedenfalls versuchte er uns nicht bloß Mathematik beizubringen, sondern Denken im Allgemeinen. Das ist schwierig für Kinder. Denken ist nämlich überhaupt das Schwierigste, was ein Mensch lernen kann. Und doch tut es jeder tagtäglich - und oft auch allzu selbstverständlich.
Dieser Professor jedenfalls führte uns in die hohe Kunst der Geometrie ein, indem er mit uns eine Schulstunde lang darüber diskutierte, was denn eigentlich ein Punkt sei. Nach vielem hin und her durften wir uns einen der wichtigsten Merksätze unserer Schulkarriere in das Schulübungsheft schreiben. Freilich war uns das damals überhaupt nicht bewusst und wir hielten den Satz für hochgradig lächerlich. Er lautete: "Ein Punkt ist das, was sich jeder halbwegs intelligente Schüler darunter vorstellt."

So gilt auch für dieses Lokal, das sich nach dem abstrakten Begriff des Punkts benannt hat, ähnliches: Das Point war all das, was sich seine Gäste darunter vorstellten. Daher kam es, dass es zu einem Lokal wurde, in dem man an einem Abend die gescheitesten Leute traf, und an einem anderen Abend die wahnsinnigsten. Und oft genug war man einfach nicht in der Lage, den Unterschied zwischen den beiden festzustellen. So war das Point ein Kulminationspunkt von Genie und Wahnsinn, von Herzlichkeit und Eigensinn, von Gastlichkeit und saurer Thekenfeindschaft. Einfach hatte man es in dem Lokal weder als Gast noch als Gastgeber- aber angenehm, das war es doch immer!

Es war so angenehm, dass sogar der größte Menschenfeind, den das Zeller Nachtleben zu bieten hatte, regelmäßig dorthin flüchtete. Der Puffer Willi schimpfte dort über die sogenannte Partygesellschaft in den Zeller Mainstream-Lokalen, wünschte sich allerlei wilde Musik oder ging ganz einfach nur aufs Klo. Ja, das Point war auch ein Fluchtpunkt. Nicht selten fand ich mich dort ein, um dem Trubel, der sonstwo herrschte, entfliehen zu können. In Ruhe ein Bierchen trinken, tatsächlich mal mit Menschen reden, und sich nicht bloß unterhalten, wozu es ja in vielen Fällen gar keiner Worte bedurfte.

Es war das Point überhaupt ein Lokal der Worte und nicht der Wörter. Selbstverständlich haben wir auch im Point viel Blödsinn geredet. Aber nirgendwo sonst musste man so auf seine Worte achten. Da war es zum Beispiel nicht egal, ob man Respekt oder Ehrfurcht vor etwas hatte; nichts konnte einfach so dahin gesagt werden. Da mussten erst einmal die Begriffe geklärt werden, bevor man über irgendetwas überhaupt eine Aussage machen konnte. Das schöne daran war, dass untypischerweise gar nicht immer ich an solchen Diskussionen "Schuld" war, sondern sich das ganz natürlich ergab.

Bierernst ging es dabei nie zu. Das war überhaupt das Wichtigste am Point: Jeder wurde ernst genommen - aber nicht um jeden Preis. Über allem hing der Zweifel im Gewand des Schmähs, und doch regierte nie Zynismus, sondern immer das freundschaftliche Augenzwinkern. So konnte man an nur einem Abend einmal darüber diskutieren, ob sich die Kunst nun nach dem Leben zu richten hatte, oder es nicht vielmehr umgekehrt war; und nur eine Stunde später führte man eine leidenschaftliche Diskussion darüber, ob Daniel Craig überhaupt ein legitimer Bond-Darsteller sein könne. So kurios das jetzt für manche klingen mag: Man fühlte sich dabei nicht auch nur eine Sekunde lächerlich.

Nein, wir hatten es hier nicht mit einem elitären Separee für Schöngeister zu tun. Ich möchte behaupten: Ganz im Gegenteil! Aber nur weil man in einem Lokal steht und ein Bier in der Hand hält, muss ja der Geist nicht ruhen. Er kann - aber er muss eben nicht! Und nur, weil er nicht ruht, muss das wiederum nicht heißen, dass es kompliziert und ungemütlich zu werden hat. Es hat schon immer wieder jemand zur rechten Zeit eine "zwickspähe" Bemerkung gemacht, die uns nicht vergessen ließ, dass wir hier eigentlich in einer Bar sind und ruhig auch einmal ein bisschen deppert sein können.

Weil es wirklich anders war, als alles andere: Deswegen sind wir hier reingekommen. Dass es nun nicht mehr da ist, ist schade. Aber wie sehr es uns abgeht, das werden wir erst in ein paar Monaten merken, wenn irgendetwas in uns sich rührt und uns Lust macht auf einen Abend im Point. Auf einen Abend, an dem man nicht weiß, was passieren wird oder ob überhaupt etwas passieren wird. Auf einen Abend, von dem man sich nichts erwartet, den man hinterher in keiner Weise bereut und von dem man froh ist, dass es ihn gegeben hat.

Danke Jana und danke Anselm für die letzten Jahre. Danke, dass ihr euer Lokal für uns geöffnet habt, auf dass wir hinein gingen und uns erfreuten. Danke für die persönliche Betreuung, die uns nie das Gefühl gegeben hat, dass wir hier "nur" zu Gast waren. Danke, dass wir von einander als Freunde denken dürfen. Denn wir vermissen vielleicht dieses Lokal, das es eigentlich nie geben hätte sollen, weil Zell oft kein Platz für solche liebenswürdigen Absonderlichkeiten zu sein scheint. Aber ihr bleibt uns ja hoffentlich erhalten!

Unter das Lokal allerdings müssen wir dieses Wochenende den allerletzten Punkt setzen

oder das, was sich jeder halbwegs intelligente Mensch darunter vorstellt